Aufruf zum Ungehorsam
Was ist das Schwierigste an einer Dissertation? Die Antwort ist simpel, die Umsetzung meistens sehr schwer: Grenzen ziehen!
In meinem Bekanntenkreis befinden sich derzeit viele fleißig Promovierende mit Ringen unter den Augen. Immer wieder höre ich von diesen unaufgefordert oder auch auf die böse und ungeliebte Nachfrage nach dem Stand der Dissertation Antworten wie die folgende: „Ich arbeite sehr viel, aber nur für das * ( * hier beliebiges Projekt einer Wissenschaft ausübenden Institution einsetzen). Am Freitag ist schon wieder eine Deadline und ich komme einfach nicht zu meiner eigenen Arbeit…“.
Die Klage scheint typisch, vor allem für deutsche Promovenden, die zu 50% – oder auch etwas mehr oder weniger – eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle inne haben. Die restlichen Zeit-Prozente sollten eigentlich für die Dissertation reserviert sein. Anscheinend will jedoch das universitäre System keine exzellenten und schnell abgeschlossenen Dissertationen, sondern nur die universitäre Arbeitskräfteausbeutung fördern. In Deutschland lebt es sich nämlich von einer halben Mitarbeiterstelle mehr schlecht als recht. Dissertationen dümpeln vor sich hin, um Lehrstuhl-Exzellenz-Großprojekte in vorgegebenem zeitlichem Rahmen über die Bühne zu bringen.
Die Spezies des deutschen Doktoranden, zumindest jene, von denen diese Klage zu hören ist, sind überwiegend interessiert, motiviert und verantwortungsbewusst. Sie wollen ihren Job (Forschung UND Lehre) gut machen und hoffen darüber auf eine der begehrten universitären Karrieren, die irgendwann unabhängige Forschung und Lehre sowie ausreichendes Gehalt versprechen. Allerdings sind diese Doktoranden sich selten bewusst darüber, dass sie sich mit ihrem Verhalten nur noch weiter von ihrem Wunschtraum einer Dauerstelle entfernen. Erfolgreich ist man im universitären System leider nur mit einem gesunden Egoismus die eigene Forschungsarbeit betreffend und mit der Kompetenz, sich vor übermäßigem Anspruchs- und Besitzdenken des Professors abzugrenzen, getreu nach dem Motto: was mich weiter bringt ist nicht nur die Arbeit am Lehrstuhl, sondern vor allem meine Diss!
Tags: Dissertation, promovieren, Zeitmanagement
3. Juli 2009 um 23:50
Hoert! Hoert! Besser kann man es nicht sagen. Das Phaenomen ist allerdings m.E. nicht unbedingt neu. Wahrscheinlich kann man sagen, dass die gesunde Portion Egoismus und Durchsetzungsfaehigkeit eben auch solche „Soft Skills“ sind, die man als erfolgreicher Akademiker entwickeln muss. Das gilt waehrend der Doktorarbeit, und spaeter noch umso mehr. Wer es als PostDoc, Assistenz-/Juniorprofessor nicht schafft, seine eigenen Interessen durchzusetzen und seine Zeit entsprechend einzuteilen, hat sowieso verloren. Dass es immer zahllose Leute gibt, die das aus vielen (guten oder auch schlechten) Gruenden verhindern wollen, ist natuerlich klar. Das ist ja aber in der Industrie und der freien Wirtschaft allgemein auch nicht anders. Man macht eben Karriere oder man bleibt ein „guter Arbeiter“. Beides miteinander zu verbinden ist meist leider kaum moeglich. Dass es immer wichtige Drittmittelprojekte und Verwaltungstaetigkeiten gibt, die einen rufen, ist im akademischen Bereich auch ueblich. Da man recht schon frueh aber mit Lehre, Forschung, Scientific Community, Verwaltung, Drittmittelprojekten, jetzt auch noch Exzellenzinitiative usw. ohnehin immer die Jobs von 3-4 Leuten gleichzeitig machen muss, muss man eben lernen, „auf Luecke“ zu arbeiten. Natuerlich leidet die Qualitaet darunter oft ein wenig, etwa was Lehrvorbereitung oder die Genauigkeit von wissenschaftlichen Reviews angeht. Leider bleibt einem in unserem turbogeladenen wissenschaftlichen System aber nichts anderes uebrig. Also ich unterschreibe: Aufruf zum Ungehorsam! Fuer das leidige Drittmittelprojekt kann man auch in der Endphase noch schnell etwas fuer den Abschlussbericht zaubern. Die eigene Kern-Forschung dagegen macht niemand anderes fuer einen!
9. Juli 2009 um 11:45
Ich habe es nun geschafft und ich kann nur die Überschrift bestätigen. Ohne eine gesunde Portion Egoismus ist eine Dissertation als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit zusätzlichen Lehrverpflichtungen nicht zu schaffen. Bei uns ist eine 2+2 Jahre Stelle üblich bei 50% BAT IIa. Konsequent sollten die Tage der Anwesenheit im Rahmen der Lehrverpflichtungen gezählt und eingehalten werden (kein Tag länger). Zusätzlich habe ich ein Urlaubssemester im Ausland verbracht um a) genug Zeit zum Forschen und b) eine adäquate Ausrede eines Urlaubssemesters für die Vita zu bekommen.
Hendrik, FB 06, Universität Kassel
9. Juli 2009 um 14:19
Die Diss ist ja nun eher persönliches Ziel, als das des Instituts. Wer bloß 50% bezahlt wird, hat dann also 50% „frei“, für seine/ihre Diss. Oder eben Baggersee oder, oder… aber NICHT, um für lau zu arbeiten. Da muss man hart bleiben.
Und eine Vollzeitstelle (was ja nun auch richtiges Geld ist, und gar nicht mal so viel weniger als eine W2+0-Professur) hat halt zu 100% den (ggf. die) Prof zu erfreuen. Und 40h von 168 (soviel hat die Woche) ist dann auch nicht wirklich Diss-feindlich. Ganz im Ernst: Diss ist Hobby! Das macht man eben am WE oder statt Tatort/??? gucken.
9. Juli 2009 um 14:55
Das mit dem Aufruf zum Ungehorsein ist so eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite steht das persönliche Ziel, die Promotion erfolgreich zu bewältigen, auf der anderen Seite stehen gewisse Abhängigkeiten zu dem betreuenden Professor – er mußte, wie in meinem Fall meine Dissertation nicht betreuen, er hat sie betreut und hatte in diesem Zusammenhang auch viele kritische Anmerkuingen, durch die ich noch sehr viel gelernt habe.
Auf der anderen Seite mußte ich persönlich die Dissertationsarbeit nicht schreiben, ich wollte sie machen und habe sie im letzten Jahr mit 52 Jahren neben meiner anderen Arbeit abgeschlossen und darauf bin ich stolz.
10. Juli 2009 um 07:56
Gut wenn man noch bezahtl wird. Ich kenne Medizinstudenten die keine Assistentenstelle haben, von denen aber denoch erwartet wird, dass sie auch Samstags und Sonntags und gegebenfals auch mal nachts ins Labor gehen und dies nicht nur ausnahmsweise und nicht nur ihre Dissertation betreffend. Ungehorsam ist kaum zu erwarten, das Ausbeutungsystem funktioniert bestens, der Konkurrenzkampf ist hart, und für den der erst einmal in dessen Mühlen geraten ist, bleibt einfach keine Zeit mehr um Widerstand zu leisten.
13. Juli 2009 um 18:22
Zensur!!
Sowohl Dr. Ludger Mehring als auch meiner einer haben hier kommentiert. Nichts weltbewegendes vielleicht, aber auch nichts sittenwidriges. Und die ZEIT filtert uns raus!
Warum sowas?
Waren wir nicht CHE/ZEIT/Gr.Koalitions-konform???
14. Juli 2009 um 11:56
Lieber Karsten Wohl,
versehentlich wurden Kommentare bei einer größeren Löschaktion anderer Spam-Kommentare entfernt. Das bitten wir höflichst zu entschuldigen – Ihrer fiel dem leider zum Opfer, hierbei handelt es sich um ein Versehen. Zensur findet hier definitiv nicht statt. Es werden nur Kommentare entfernt, die nicht der Netiquette entsprechen. Und das war wie gesagt bei Ihnen nicht der Fall.
Sorry again!
Die academics-Redaktion