Wissenschaftssprache Denglisch
Ein Klischee besagt: Wenn die Deutschen etwas machen, dann machen sie es gründlich und schütten dabei das Kind gleich mit dem Bade aus. So erscheint es auch angesichts der relativ aktuellen Verlautbarung des Präsidenten der Technischen Universität München (TUM); wenn man den einschlägigen Wissenschaftsrankings Glauben schenken mag, eine der tonangebenden Top-Unis in Deutschlands.
Dem August-Newsletter des Deutschen Hochschulverbandes entnehme ich folgende Zeilen: Der „Präsident der Technischen Universität München (TUM), hat sich mit dem Hochschulrat darauf geeinigt, alle Lehrveranstaltungen im Masterstudium bis zum Jahr 2020 auf die Unterrichtssprache Englisch umzustellen. Derzeit erfüllen laut ‚Süddeutscher Zeitung‘ 30 der 99 Master-Angebote an der TUM dieses Kriterium.“
Da hat die TUM Großes vor! Ich sehe schon jetzt vor sich hin „denglischende“ Professoren (denn warum soll ein exzellenter Physikprofessor auch gleichzeitig annähernd muttersprachliches Fachenglisch beherrschen?) und verständnislos drein blickende Studierende vor mir (denn es scheint neben den fachlichen Anforderungen schwierig, auch noch die Englisch-Varianten der verschiedenen Professor_innen richtig zu entziffern). Die TUM will durch diese Maßnahme den Anteil ausländischer Studierender sowie Lehrender steigern, im internationalen Wettbewerb bestehen und die Studierenden auf eine Realität vorbereiten, „in der Englisch in Wirtschaft und Wissenschaft die Verkehrssprache sei.“ Das Problem dabei ist nicht die Ausdifferenzierung des deutschen Wissenschaftssystems und der Sonderweg, den dabei einige Hochschulen beschreiten, sondern der Herdentrieb, der alle anderen Hochschulen veranlasst, diesem vermeintlich exzellenten Weg zu folgen.
Es steht außer Frage, dass Englisch mittlerweile zur internationalen Verkehrssprache, gerade eben auch in der Wissenschaft geworden ist, ob man das nun gut heißen mag oder auch nicht. Und natürlich gehört es mittlerweile zu einem akademischen Abschluss, Publikationen auf Englisch zu rezipieren oder – strebt man eine wissenschaftliche Laufbahn an – auch zu verfassen und sich auf internationalen Konferenzen zu verständigen.
Was aus meiner Sicht dagegen absoluter Irrsinn ist: sich gänzlich von der eigenen Muttersprache in der Wissenschaft zu verabschieden, auch wenn es sich beim Beispiel der TUM um überwiegend technische Fächer handelt, in denen es scheinbar auf sprachliche Feinheiten nicht besonders ankommt. Wie wir längst wissen, stellt jede Sprache einen eigenen Denkraum dar, der jeweils wissenschaftliches Erkennen und Erforschen fördern oder behindern kann. Unsere unterschiedlichen Sprachen sind Ausdruck kultureller Vielfalt, für die zum Beispiel die UNESCO immer wieder kämpft. Nicht zuletzt dieser Diversität und dem daraus resultierenden heterogenen wissenschaftlichen Denken und Handeln ist es zu verdanken, dass internationaler Austausch überhaupt als bereichernd wahrgenommen wird. An vielfältigen Orten, durch diverse Kulturen und auch Wissenschaftssprachen entstehen erst unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten und -formen. Letztlich ist es fatal zu glauben, dass ausländische Studierende nicht eben auch gerade wegen der deutschen Art Wissenschaft zu betreiben zu uns kommen möchten und genau diese in Sprache und Handeln erfahren möchten.
Aus eigener lehrender Erfahrung finde ich es wichtig, dass Studierende schon früh über den eigenen Tellerrand hinausschauen und auch in der Wissenschaft Internationalität erleben. Es gibt aber vielfältige andere Möglichkeiten, dies in die Lehre einzubinden, als schlicht in eine andere Sprache umzuschalten: zum Beispiel durch den intensiven Einbezug Studierender in den internationalen Forscher_innenaustausch, durch die Einladung oder Einstellung ausländischer Wissenschaftler_innen, die dann auch in ihrer Muttersprache vortragen und lehren, oder durch altbewährte ERASMUS-Aufenthalte.
Der Radikalschlag, den dagegen die TUM vorbereitet, ist kein Fortschritt oder gar Vorbild sondern ein Bekenntnis gegen kulturelle und wissenschaftliche Vielfalt und ernst gemeinten internationalen Dialog! Es ist nicht anzuraten, will man im Wettbewerb die Nase vorn haben, sich die unbequemen Schuhe des Konkurrenten anzuziehen, von denen man glaubt, dass man damit schneller voran kommt und attraktiver erscheint und dafür die eigenen, passenden Schuhe wegzuwerfen. Das Ziel wird man dadurch nie oder nur als Letzter unter großen Schmerzen erreichen.
Tags: Ausland, Hochschulreform, Internationalisierung, Wissenschaftssprache, Wissenschaftssystem
11. September 2014 um 14:00
Gut, dass da noch jemand gegen anstinkt! – Natürlich ist es gut, Fächer *auch* in Englisch anzubieten; aus ganz verschiedenen Gründen. Das darf allerdings nicht bedeuten, dass die Veranstaltungen in Deutsch einzustellen wären! – Persönlich gefällt mir die Zweigleisigkeit sehr gut, mit der das hier an der Universität Duisburg-Essen gefahren wird. Wir haben die ’normalen‘, ‚deutschen‘ Studiengänge in den Ingenieurwissenschaften; und zusätzlich die „International Studies in Engineering“; die tendenziell in Englisch abgehalten werden; einen Auslandsaufenthalt von minimal einem Semester vorschreiben, etc.
Das ist ein attraktives Angebot sowohl für ausländische Studierende, die sich nicht erst durch DSH quälen müssen, bevor sie zugelassen werden können, als auch für Studierende mit Deutsch als Muttersprache, die den Auslandsbezug und die Unterrichtssprache als ‚Plus‘ für ihre weitere Laufbahn mitnehmen können.
Außerdem, aber das wird bei der Faszination für den anglo-amerikanischen Raum oftmals übersehen, haben wir auch eine ganze Zahl Studierender aus Osteuropa, und bei denen ist Englisch oft schwach ausgeprägt.
Last not least (um im Slang zu bleiben), sollten die Lehrenden berücksichtigt werden. Selbst wenn man gewöhnt ist, Fachaufsätze zu lesen, oder gar schreiben, heißt dass noch lange nicht, dass man sich in der Sprache auch verbal so wohl fühlt, dass man eine motivierende und sprachlich verständliche Vorlesung abhalten kann.
12. September 2014 um 01:38
Wer sich weiter mit dem Thema beschaeftigen moechte, findet vielleicht diesen soziolinguistischen Artikel ueber Englisch als Unterrichtssprache an koreanischen Unis nuetzlich:
Piller, I. and J. Cho (2013). „Neoliberalism as language policy.“ Language in Society 42(1): 23-44.
Der Artikel kann open access von Cambridge University heruntergeladen werden: http://journals.cambridge.org/action/displayFulltext?type=1&fid=8824101&jid=LSY&volumeId=42&issueId=01&aid=8824099
Hier das Abstract:
This article explores how an economic ideology — neoliberalism — serves as a covert language policy mechanism pushing the global spread of English. Our analysis builds on a case study of the spread of English as a medium of instruction (MoI) in South Korean higher education. The Asian financial crisis of 1997/98 was the catalyst for a set of socioeconomic transformations that led to the imposition of “competitiveness” as a core value. Competition is heavily structured through a host of testing, assessment, and ranking mechanisms, many of which explicitly privilege English as a terrain where individual and societal worth are established. University rankings are one such mechanism structuring competition and constituting a covert form of language policy. One ranking criterion — internationalization — is particularly easy to manipulate and strongly favors English MoI. We conclude by reflecting on the social costs of elevating competitiveness to a core value enacted on the terrain of language choice.
12. September 2014 um 04:51
„Globalisierung ist ein Trend, der nicht aufzuhalten ist“ ist das wichtigste Gegenargument auch an deutschen Universitäten Englisch zuzulassen. Wer Englisch nicht mag, braucht ja nicht zu studieren. Die Doktorarbeit ist das Tor in der internationalen Community aufgenommen zu werden. In meiner Karriere war die Diskussion im Labor mit den Postdocs aus vielen verschiedenen Ländern der richtige Weg, Englisch auch sprachlich fliessend zu beherrschen, und dann der Ausschlag selber nach neun Jahren Post-Doc-Zeit über Frankreich nach Japan zu gehen. In Japan ist in Englisch zu unterrichten noch wichtiger, doch auch hier ist natürlich der Unterricht in Japanisch für die Studenten angenehmer und alltägliche Praxis auch für deutsche Professoren. Wer im Ausland lebt, muss nicht nur flexibel sein, sondern auch kulturelle Mauern fallen lassen und dabei gleichzeitig toleranter Missionar der eigenen Kultur sein.
12. September 2014 um 08:21
Bravo! Die LMU in Deutschland ist übrigens nicht alleine in diesem unheilvollen Bestreben. Auch die Universität Tartu in Estland hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Lehrsprache der Masterstudiengänge auf Englisch umzustellen. Ich bin mit der Autorin einer Meinung, dass dieses Verhalten, greift es auf alle Hochschulen eines Landes über, einen wesentlichen Teil der muttersprachlichen Fachterminologie auslöschen kann, die über Jahre gewachsen ist.
12. September 2014 um 10:48
Ein sehr guter Artikel. Hoffentlich kann er eine dringend notwendige Grundsatzdiskussion anstossen. Ich habe selbst in den USA promoviert und danach fast 2 Jahrzehnte in Mexiko geforscht, gelebt und mexikanische bzw. lateinamerikanische Studenten auf spanisch unterrichtet.
Selbstverstaendlich ist Englisch fuer uns alle die gemeinsame Umgangssprache im wissenschaftlichen Raum – i.e. Publikationen, Tagungen, Treffen mit auslaendischen WissenschafftlerInnen – aber ueber das Bestreben, dass Deutsche, die selbst nie laengere Zeit arbeitend im englischsprachigen Ausland waren, auf Englisch hochspezialisierte und hochqualifizierte Vorlesungen halten sollen, die dann auch noch von den mehrheitlich deutschen Studenten auf Englisch mitgeschrieben werden bzw. aus denen diese sich grundlegende Fachkenntnisse aneignen sollen, darueber kann man nicht mal mehr lachen. Das ist eine absurde Entwicklung und einer hochqualifizierten Ausbildung sicher nicht foerderlich.
13. September 2014 um 11:34
„Ich sehe schon jetzt vor sich hin „denglischende“ Professoren (denn warum soll ein exzellenter Physikprofessor auch gleichzeitig annähernd muttersprachliches Fachenglisch beherrschen?) und verständnislos drein blickende Studierende vor mir (denn es scheint neben den fachlichen Anforderungen schwierig, auch noch die Englisch-Varianten der verschiedenen Professor_innen richtig zu entziffern).“
Der Physik-Professor liest vermutlich seit 30 Jahren quasi nur englischsprachige Fachliteratur – relevante deutschsprachige Fachliteratur gibt es, zumindest in den Naturwissenschaften schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Konferenzen werden – mit Rücksicht auf die internationalen Teilnehmer auch so gut wie nur in Englisch abgehalten. Daher sollte der Professor seine Fachsprache im Englischen schon gut beherrschen. Ob er genauso locker über seine Freizeitgestaltung plaudern kann sei mal dahin gestellt. Aber wenn man Internationalisierung ernst meint, muss man sein Angebot in einer Sprache machen, die nun mal die lingua franca der Welt ist, denn nur dann kann die Welt auch teilnehmen. Die kulturellen Unterschiede werden durch Menschen gemacht, die mit einer bestimmten Sprache und in einer bestimmten Kultur aufgewachsen sind – und nicht ob sie nun die eine oder die anderen Sprache im Beruf gebrauchen.
17. Oktober 2014 um 09:37
Ich bin ganz bei Ihnen, Frau Reinwand-Weiss. Insbesondere das Argument, dass jede Sprache einen eigenen Denkraum darstellt, wird noch viel zu wenig beachtet. Dazu mal der Literaturtipp „Im Spiegel der Sprache: Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht“ von Guy Deutscher.
Ich selber bin sehr international aufgewachsen und beherrsche das Englische recht gut, doch empfinde ich es immer noch als störend, gezwungen zu werden, diese Sprache zu sprechen. Ich tue es gern, wenn ich mich sonst nicht mit Freunden unterhalten kann. Aber der Zwang dazu in Studium und Lehre würde viel Spontanität, Kreativität und Lockerheit vernichten. Da möchte ich lieber nicht mit den internationalen Superforschern mithalten können, die auch so schon viel zu viel Tendenzen in Richtung Einheitsbrei zeigen.
28. November 2014 um 15:12
Ich weiß nicht. Ich arbeite neben meiner Passion, der Pflanzenheilkunde, hauptberuflich im IT-Bereich und programmiere viel. Für mich ist Englisch eine absolut unerlässliche Qualifikation und wären meine Kenntnisse nicht auf dem Stand, den sie heute haben, könnte ich meinen Beruf nicht ausführen, schlicht aus dem Grund, weil alle aktuellen Referenzen für diverse Programmiersprachen rein auf Englisch verfügbar sind.
Es lohnte sich auch gar nicht, diese zu übersetzen, weil die Hälfte des Inhalts schon wieder überholt ist sobald die Übersetzung vollständig ist.
Man kann sich darüber streiten ob Englisch oder andere Fremdsprachen wie so oft gefordert auch schon im Kindergarten wirklich nötig sind, aber später sind sie es definitiv.
Danke für Ihren Beitrag zur Diskussion, die sicher noch lange stattfinden wird und stattfinden muss.
4. Dezember 2014 um 08:09
Wer seine Muttersprache nicht liebt , verliert seine eigene Identität.Dies gilt auch für alle Bereiche der Technischen Wissenschaften.Ein Großteil der Absolventen , soferne man bei diesem System überhaupt einen Abschluß schafft , wird nicht in der Wissenschaft , sondern in der heimischen Wirtschaft tätig sein.Die erschwerten und wesentlich längeren Studienzeiten stellen daher einen enormen wirtschaftlichen Nachteil dar.Vor allem wird im Bereich der wissenschaftlichen Grundlagen infolge der nicht ausreichenden Sprachqualität im technischen Vortragssystem und den unüberschaubaren Mengen von fremden Fachausdrücken ein nachhaltiger negativer Effekt im wissenschaftlichen logischen Denken eintreten, da sich die studierende Jugend auf die fremde Sprache und nicht auf die Wissenschaftskriterien eines Fachgebietes konzentrieren muß.Wieso äußert sich nicht die maßgebliche Wirtschaft zu diesem Ausbildungssystem ? Ein enormer Dialogverlust im wissenschaftlichen Denken und Gedankenaustausch ist unvermeidlich.Technischer Fremdsprachenunterricht muß ausschließlich auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt werden , damit eine Konzentration auf das Wesentliche in der Wissenschaft erhalten bleibt.
Wie wird die alltägliche Zusammenarbeit in den bestehenden Betriebsstrukturen mit diesem nur auf Globalisierung ausgerichteten Bildungssystem funktionieren ? Hochbegabte und an der Technik begeistere Jugendliche , die kein besonderes Interesse an erschwertern Fremdsprachenhindernissen haben , werden derartige Ausbildungsstrukturen meiden.Diese Entwicklung ist besorgniserregend.Die Vortragenden aus unterschiedlichsten Ländern unterrichten in Dialektformvariationen. Weitere Verwirrungen im Grundlagenstudium sind die Folge.Meine Stellungnahme beruht auf einer über dreißigjährigen wissenschaftlichen und praktischen Berufsausübung im nationalen und internationalen Bereich.