Denkräume oder wie viel uns Wissenschaft wert ist

Nachdem ich mich in meinem letzten Blogbeitrag über die Ästhetik von Hochschulgebäuden ausgelassen habe, ist mir aufgefallen, wie unwichtig diese – also die Hochschulräume – anscheinend sind. Ich zum Beispiel habe leider drei Arbeitsplätze an drei unterschiedlichen Orten und eigentlich kann ich wirklich konzentriert nur an einem dieser Plätze arbeiten. Diese Denk- und Arbeitsräume folgen einer ganz individuellen Ästhetik, die zumeist von Ordnung geprägt ist, denn entgegen mancher Genies, die das Chaos beherrschen, kann ich in Unordnung nicht arbeiten und das meint vor allem wissenschaftliche Texte schreiben.
Wenn ich meine Hochschulkolleginnen und -kollegen betrachte, ist das ähnlich. Jeder hat seine Lieblingsplätze, an denen er produktiv ist. Es gibt sie in der Uckermark, auf Korsika oder in bestimmten Cafés, aber in den wenigsten Fällen befinden sich diese Lieblingsplätze in den Hochschulgebäuden. Ganz im Gegenteil: Universitäten und Hochschulen, die sich nicht gerade an deutschen „hot spots“ wie München oder Berlin befinden, sind oft verwaist – und das nicht nur während der Semesterferien. Gehen Sie doch mal montags oder freitags an eine Hochschule in eine kleine oder mittlere Großstadt und Sie finden: Niemanden! – Genau. Die DiMiDo-Professoren und -Studenten sind noch nicht da bzw. schon wieder weg.
Wo also arbeiten dieses wissenschaftliche Personal und der Nachwuchs? Denn dass sie arbeiten, sehen wir quantitativ zumindest an zahlreichen Papers und Hausarbeiten. Nehmen wir einmal die Heimarbeitsplätze, Bibliotheken und Archive aus, ist eine Beobachtung, die sich hartnäckig hält, dass zu den meist genutzten Arbeitsplätzen von Wissenschaftlern der ICE zählt. Welcher Bahnreisende kennt nicht den Anblick von – ich nenne sie mal „Business“-Wagen, in denen mucksmäuschenstill jeder Reisende tippend oder lesend vor seinem Rechner sitzt. Der Bahn sei Dank! Viele studentische Arbeiten würden nicht so zügig korrigiert, viele Artikel oder Hausarbeiten nicht termingenau fertig ohne dieses fahrende Großraumbüro. Wahrscheinlich handelt es sich bei Verspätungen der Bahn in Wirklichkeit um eine kalkulierte Art und Weise das Bruttoinlandsprodukt zu steigern oder zumindest einen Vorteil im wissenschaftlichen Wettbewerb zu erzielen. . . hat darüber schon mal jemand nachgedacht?
Aber eine Frage muss erlaubt sein: warum tun sich all diese Wissenschaftler diese Situation wöchentlich stundenlang an, wenn doch Lieblingsarbeitsplätze anscheinend anders aussehen? Ist es das Gemeinschaftsgefühl eines Co-Working-Space, in dem sich einfacher arbeiten lässt, weil man sieht, die anderen tüfteln auch alle und vergnügen sich nicht? Ist die Bahn nur Mittel zum Zweck und man will damit der universitären Kleinstädterei entfliehen, in der man abends von Studierenden in der Kneipe erkannt wird? Will man nicht umziehen, weil der wissenschaftliche Arbeitsplatz mal wieder nur befristet ist? Oder führt man ein rastloses Pendlerleben, weil der Partner einen Job genau 700 Kilometer weit von der eigenen Hochschule entfernt angenommen hat? Es gibt sicherlich viele Gründe für das moderne wissenschaftliche Nomadentum, aber mal ehrlich: ist das nicht eigentlich alles absurd?

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