Wissenschaft im Jetset

Vor ein paar Tagen bekomme ich einen frustrierten Anruf von einem befreundeten externen Doktoranden (d.h. ein Promovierender ohne Einbindung in eine universitäre Anstellung).
Er habe gegen Ende seiner Dissertation seine Ergebnisse in einem Seminar seines Profs an einer deutschen Uni vorgestellt. Das feedback auf die schriftliche Leistung sei sehr gut, das auf die Präsentation verheerend gewesen. Prof: „Warum tun Sie sich das Ganze denn überhaupt an? – Sie wollen doch sowieso nicht an der Uni bleiben!“ Doktorand: “Weil mich das Thema sehr interessiert, innerlich umtreibt und ich das Gefühl habe zu etwas durchzudringen, das bis jetzt so nicht auf den Punkt gebracht worden ist.“ Achselzucken des Profs.

Frage: Welche Wissenschafts-Elite fördert Deutschland eigentlich und wo wollen wir hin? These: wir fördern häufig nicht Elite – wir fördern Mittelmaß und wissen nicht, wo wir hinwollen – im Zweifelsfall dahin, wo andere Länder vor uns sind.
Es gibt gewisse Spielregeln im System, die eingehalten werden müssen und die ähneln immer mehr Spielregeln aus der Wirtschaft. Netzwerke, Seilschaften, en-vogue-Themen, Fundraising – kurz und gut – ein Wissenschaftler muss heute ein gewaltiges Maß an Managereigenschaften mitbringen, wenn er erfolgreich Unikarriere machen möchte. Und wie eine Umfrage eines Managermagazins unter Top Managern deutlich macht, braucht ein Manager anscheinend erst am unteren Ende der Fähigkeiten-Skala nach einigen wichtigeren Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Beziehungen so etwas wie „Intelligenz“.

Die Wissenschaftsgeschichte zeigt zahlreiche skurrile und etwas verschrobene Persönlichkeiten, die in ihrem – zugegebenermaßen begrenzten – Forschungs- und Wirkungsraum Großartiges geleistet haben. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass wir diesen Forschertyp heute nicht mehr brauchen, sondern gestylte, eloquente Unimanager als Professoren, die Forschung, Lehre und ansprechende Vorträge wie Kaninchenfamilien aus dem Hut zaubern?

Sicherlich, die Uni ist und darf kein Elfenbeinturm sein – aber weltbewegende Forschungsergebnisse entstehen eben nicht auf Flughäfen und in ICEs oder zwischen Meeting und Präsentation für den Auftrag- und Geldgeber. Weltbewegende Forschungsergebnisse entstehen aus intrinsischer Motivation, Hartnäckigkeit und Geduld, Lust am Denken und Experimentieren heraus, aber nicht im Schielen auf Ansehen, Macht und ein gefülltes Bankkonto.

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9 Kommentare zu “Wissenschaft im Jetset”

  1. Jack meint:

    Ich hätte es nicht besser ausdrücken können! Danke für den Beitrag! Zum Elfenbeinturm würde ich sagen, dass es an jeder Uni einen geben sollte. Die Wissenschaft lebt von einem bunten Haufen aus Professoren, Postdocs und Doktoranden. Einige davon sollten ruhig etwas verschroben und weltfremd sein, denn nur so können sich bei ihnen Motivation und Inspiration entfalten, die zu völlig neuen Ansätzen führen.

  2. Haegar meint:

    Glücklicherweise fördert die DFG sehr gute Projekte auch dann, wenn sie nicht „en vogue“ Themen behandeln. Mittelmäßige Projekte, selbst wenn ihre Themen derzeit „sexy“ sein sollten, haben dagegen keine Chance auf Förderung. Wenn Ihr Bekannter daher frustriert ist, nur weil sein Betreuer an der Uni das Thema kritisiert hat, fehlt ihm vielleicht die echte Überzeugung an seinem Projekt. Der betreuende Prof wird schon wissen, warum er so etwas sagt, schliesslich muss man sich Vernetzen („Synergien“ nutzen) um an möglichst viele Forschungsmittel zu kommen.

  3. Charybdis meint:

    Jetlag ist gut! Die Wissenschaft sollte eigentlich ein Ort der Entschleunigung sein (dürfen), der durch Kriterien wie Gründlichkeit und Reflexion geprägt ist. Ich war mal Verfechter einer stärkeren Außenorientierung der Wissenschaft. Ich bin jetzt nicht mehr so sicher, nachdem ich gesehen habe, wie die totale Verschlagwortung aber dazu beiträgt, dass man nur noch „topic sentences“ liest. Ein Lob der Oberfläche! Eine tragische Versimpelung kann aber eben auch die Folge sein.

  4. Ausländer meint:

    Hervorragender Beitrag, danke!

    Besonders deutlich wird das Ganze dann aus dem Ausland. Ich promoviere außerhalb Deutschlands und habe ein paar Versuche unternommen, einen Fuß in die deutsche Forscherclique hineinzubekommen. Jedesmal mit verheerenden Ergebnissen. Meine Lieblingsgeschichte: ich habe mich für eine Nachwuchstagung (3 Tage in der Jugendherberge…) meines deutschen Fachverbandes beworben. Dort wurde ich abgelehnt, mit der Begründung, die wissenschaftliche Qualität meines papers sei bei weitem nicht ausreichend. Das gleiche Paper habe ich auf dem Annual Meeting des amerikanische Verbandes, der als „die“ Elite gilt, vorgestellt – dort ist die Chance, ein paper präsentieren zu dürfen ca. 1:17. Im online-Programm der deutschen Nachwuchstagung waren dann auch nur Doktoranden deutscher Unis…

    Da denke ich mir dann auch, das ganze Gereder vom Zurücklocken deutscher Forscher nach Deutschland ist doch irgendwie ein Scherz.

  5. MB meint:

    Noch ein Beitrag aus dem Ausland. Dank Abwesenheit geeigneter Netzwerke – ja, ich war so naiv zu glauben, mit Begeisterung allein Wissenschaft betreiben zu koennen – gelang es mir nicht, nach Ablauf der 12-Jahres-Befristung eine Dauerstelle/Professur zu erlangen.
    Und ja, es stimmt, was Frau Reinwand schreibt! Wenn ich jetzt 20 Jahre nach meinem Diplom zurueckschaue, ist Wissenschaft nicht das, was ich in meinen kuehnen Jugendtraeumen erhofft hatte, kein Ort des gemeinsamen Forschens um der Erkenntnis willen, kein Ort der gemeinsamen Suche nach Antworten. Stattdessen Management, Worthuelsengedresche und Paranoia (wer publiziiert was am schnellsten und vor allem: vor wem). Kein Ort der Offenheit (wo gibt es noch Tagungen, auf denen Ergebnisse vorgestellt werden, die noch nicht mindestens im Druck sind?), kein Ort der Fairness (Reviewer, die sich der Ideen eines Manuskriptes bedienen und dessen Publikation verzoegern; DFG-Gutachter, die offensichtlich inkompetent sind, aber deren gottgleiches Urteil ueber jeden Zweifel oder gar Rebuttal erhaben ist).

  6. magellan meint:

    Ich glaube nicht, dass Mittelmaß gefördert wird, der Jetset ist schon spitze, aber die Frage ist: in was?

    Im Zuge irgendeiner Exzellenzinitiative sollte bei uns mal ein gemeinsamer Forschungsantrag gestellt werden, das Ganze natürlich spätestens bis vorgestern. Der Fakultäts-Hotshot wurde als Koordinator bestimmt, schließlich hatte er schon Projekte die Fülle akquiriert.

    Und dieser Typ findet auch binnen Stunden ein Querschnittsthema, an das sich erstaunliche viele Kollegen andocken können: ich bin angenehm überrascht!

    Er strukturiert das ihm eigentlich fremde Thema in Windeseile zweckmäßig und überzeugend: ich bin wirklich beeindruckt!

    Er schreibt den ersten Entwurf für alle gemeinsam, obwohl das Thema – wie gesagt – nicht sein’s ist: ich bin erstaunt über soviel Chuzpe.

    Ich lese den Entwurf und finde darin auch reichlich Phrasen und Worthülsen, aber OK, der Antrat entstand in kaum mehr als zwei Tagen.

    Ich möchte meinen Part mit ihm durchsprechen, mache ihn auf mMn Schnitzer aufmerksam und dann bin ich baff: Die inhaltliche Diskussion ist ihm vollkommen wurscht, es geht allein um den Antrag, um die Fördermittel und sonst nichts…

    Natürlich bin ich beleidigt, weil’s auch um „mein“ Thema ging, natürlich bin ich neidisch, weil bis Ende 30 mehr Fördermittel eingeworben haben wird als ich in den nächsten zwei bis drei Leben und ja, ich bin auch wirklich beeindruckt über diese Fähigkeit, ein Problem in Sekundenschnelle zu erkennen, zu strukturieren, antragsfähig zu verarbeiten. Insofern: Der Typ ist absolut kein Mittelmaß, er hat fraglos Fähigkeiten.

    Wenn wir aber _nur_ noch auf die Akquise (wie auch die Projektvermarktung) schauen und gar nicht mehr auf die Substanz, dann ist das irgendwie bitter…

  7. sw meint:

    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, warum die Frage „richtige, traditionelle Elfenbein-Wissenschaft“ versus „moderner Jetset“ immer als Entweder-Oder-Frage diskutiert wird. ENTWEDER man sitzt jahrelang im Kämmerlein, ohne sich mit Kollegen und Kolleginnen auszutauschen und seine Arbeit im Peer-Review-Prozess, auf Konferenzen und bei Drittmittelanträgen (internationaler) Kritik auszusetzen, ist dann dafür aber ein neuer Kant, ein „ehrlicher“ Wissenschaftler, ODER man ist eben ein Jet-Set-Wissenschaftler, der nur Worthülsen produziert, Drittmittel en masse einwirbt ohne tatsächliche Ergebnisse zu liefern, auf Konferenzen herumspringt ohne substantiell beizutragen und die Professur sowieso nur durch das Management seines Netzwerks erhalten hat. Das ist doch absurd. Es gibt viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die gute, solide und spannende Forschung machen, und trotzdem nicht die Augen vor den Anforderungen des modernen Wissenschaftsbetriebs verschließen!

  8. magellan meint:

    Natürlich ist das kein grundsätzlicher Widerspruch & viele Top-Leute können sicher auch beides, aber viele eben auch nicht. & bei denen ist es dann schon relevant, welcher Aspekt in den Vordergrund gerückt wird. Das Unbehagen hierbei rührt IMHO daher, dass sich die entsprechenden Anreize in sehr kurzer Zeit gravierend geändert haben. Ein Beispiel: Ein Projektgruppenleiter reicht seine Habil ein, kumulativ, kein Problem. Der Haken: Nahezu keinen Beitrag war allein geschrieben worden, manche Koautoren zogen sich durch den halben Band. Früher hätte man gesagt: Ja wie jetzt, sollen wir gleich die ganze Forschergruppe habilitieren? Heute geht das nicht nur durch (was ja vielleicht auch OK ist und manchen Fächern gar nicht anders machbar wäre), sondern rechtfertigen muss sich tendenziell eher der Alleinautor, der absehbar langfristig weniger Veröffentlichungen produzieren wird als der gut vernetzte Forscher.

    Es ist natürlich vollkommen richtig, „nicht die Augen vor den Anforderungen des modernen Wissenschaftsbetriebs zu verschließen“, aber gelegentlich kann man schon mal wundern, a) wie schnell sich diese Anforderungen geändert haben und b) ob das Pendel derzeit vielleicht nicht etwas zu sehr in Richtung Selbstvermarktung ausschlägt.

  9. sw meint:

    Dass sich die Anforderungen innerhalb sehr kurzer Zeit sehr stark geändert haben, ist sicherlich richtig. Auch richtig ist, dass dabei eine ganze „Generation“ von Nachwuchswissenschaftlern, die nach dem alten System alles richtig, nach dem neuen System aber vieles „falsch“ gemacht haben, von diesem Paradigmenwechsel negativ betroffen sind, da sie quasi zwischen den Stühlen sitzen.

    Trotzdem denke ich, dass es richtig ist, dass sich das deutsche System öffnet und weg von dem alten Wissenschaftssystem bewegt, in dem einem erst mit Ende Dreissig zugetraut wurde, einen eigenen Lehrstuhl zu führen. Natürlich wurden – und werden – in diesem Prozess viele Fehler gemacht. Eine koautorierte Publikation ist etwas anderes als eine in Alleinautorenschaft, und das sollte auch in die Bewertung einfließen. Allerdings sollte meiner Meinung nach dabei auch bedacht werden, dass koautorierte Artikel nicht unbedingt schneller geschrieben sind als solche in Alleinautorenschaft, oder weniger Eigenarbeit benötigen: Viel stärker muss man hier Diskussionen führen und Uneinigkeiten bereinigen, die häufig zu einer tieferen Beschäftigung mit der Materie und so zu einem besseren Papier führen – wann hat man schon mal einen so kritischen Leser wie den eigenen Ko-Autor? Wichtig ist natürlich auch, dass die Beurteilungskriterien klar sind. Hilfreich ist es dabei zum Beispiel, wenn die Kriterien für die Zwischenevaluation einer Juniorprofessur oder einer Habil bereits von Anfang an festgelegt werden (z.B. „x Artikel in begutachteten Fachzeitschriften, davon mindestens x in alleiniger Autorenschaft“).

    Ich unterstütze das Votum, dass die Leistung des Einzelnen fair gewürdigt werden muss. Die Fähigkeit, mit anderen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten (und so im Übrigen auch die Forschung vielleicht stärker voranzubringen), die Fähigkeit, die eigenen Ergebnisse sowohl schriftlich als auch bei Vorträgen gut und ansprechend präsentieren zu können und die Fähigkeit, diese Ergebnisse auch einem internationalem Publikum zugänglich zu machen, finde ich jedoch essentiell für eine Wissenschaft, die tatsächlich einen Beitrag leisten will. Mir scheint, dass diese Fähigkeiten insbesondere für Nachwuchswissenschaftler im „neuen“ System leichter zu erlernen und auszubauen sind als im „alten“ System. Dem Nachwuchs beizubringen, dass die Qualität der Forschung unter dem Erwerb dieser Leistungen nicht leisten darf, finde ich selbstverständlich.

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