Qualität in der Doktorandenbetreuung: Mehr Überwachung der Doktoranden?

Im letzten Jahr wurde durch die Guttenberg-Affäre der Glaube an das System der Qualifizierung als Dr.-Titel-Träger in den Grundfesten erschüttert. Sind die aufgedeckten Fälle des Plagiats tatsächlich bedauerliche Einzelfälle oder liegt etwas im Promotionswesen generell im Argen in Deutschland?

In Folge der öffentlichen Diskussionen um die Qualität der Promotionen hierzulande, wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen, die überwiegend darauf aus sind, die Doktorandinnen und Doktoranden stärker zu kontrollieren oder einfach nur mehrere Betreuer zur Verfügung zu stellen. Kontrolle statt Ursachenforschung! Kontrollmaßnahmen und geänderte Promotionsordnungen täuschen über die Tatsache hinweg, dass oftmals mit einer mangelnden Betreuung durch die Doktormütter und -väter das Übel erst anfängt und wissenschaftliches Fehlverhalten in Hochschulen – nicht so selten wie man vielleicht denkt – auch vorgelebt wird. Nicht umsonst hatte der Deutsche Hochschulverband seinen 60. DHV-Tag 2010 unter das Motto „Wissenschaft braucht Ethik“ gestellt.
Trotz zunehmender strukturierter Promotionsprogramme, die grundsätzlich eine intensivere Begleitung gewährleisten, gibt es immer noch zahlreiche Doktorandinnen und Doktoranden in Deutschland, die keine Anbindung an ein Promotionskolleg oder einen Lehrstuhl haben und also „extern“ promovieren. Sei es, weil sie außerhalb der Hochschule berufstätig sind oder sie es z.B. inhaltlich vorziehen, unabhängig von einem Kolleg zu promovieren. Ein Promotionsmodell, das durchaus erhalten bleiben sollte, denn so gewährleistet man forscherische Vielfalt! Vor allem bei diesem Weg zum Dr.-Titel zeigen sich jedoch oftmals eklatante Betreuungslücken. Viele Fragen in Bezug auf wissenschaftliche Standards, fachspezifische Netzwerke, aber auch Themen wie Finanzierung, Zeitmanagement und Publikationstätigkeit neben der Promotion bleiben ungeklärt.

Nun haben sich das Interdisziplinäre Netzwerk für Promovierende und Promovierte THESIS e.V. sowie bildungsrepublik.de e.V. zusammengetan, um eine „Charta für eine neue Promotionskultur“ zu entwickeln. Auf einer Website der Diskursplattform ECHO wird über die Frage „Wie kann das Vertrauen in die Promotion wieder hergestellt und langfristig gesichert werden?“ diskutiert. Jede und jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen!
Um langfristig die Qualität der Promotionen in Deutschland zu sichern und eine vorbildliche Promotionskultur zu entwickeln, reicht es nicht aus beispielsweise zu fordern, dass Dissertationen auch in digitalisierter Form eingereicht werden, um schnell „überprüfbar“ zu sein. Es mangelt vielmehr grundsätzlich an statistisch umfassenden Aussagen über die Lebenssituation und den beruflichen Status der Promovierenden, über die Anzahl und Gründe der Abbrecher und nicht zuletzt an Informationen über die tatsächliche Betreuungssituation der Promovierenden in Deutschland. Nur mit dem Entwurf und der Umsetzung einer neuen, umfassenden Promotionskultur, die alle Hochschulen teilen, nicht mit kurzfristigen Verordnungen, wird man auf Dauer den guten Ruf der deutschen Promotion, den zumindest vor dem Jahr 2011 kaum jemand in Frage stellte, wiederherstellen können. Auch hier gilt: „Culture eats strategy for lunch.“

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8 Kommentare zu “Qualität in der Doktorandenbetreuung: Mehr Überwachung der Doktoranden?”

  1. Hans Wurst meint:

    Jede Kontrolle lässt sich unterwandern. Nach Guttenberg wird es nicht mehr ausreichen, Texte zusammenzukopieren. Aber wer viel Geld investiert, kann auf eine große Auswahl von Wissenschaftlern zurückgreifen, die von der Uni nach Ablauf der befristeten Stellen verstoßen wurden und die liebend gerne gegen gute Bezahlung frei forschen würden. Sie müssen dann nur noch die Skrupel überwinden, aber mit der Rechtfertigung „ich erstelle ja nur eine Vorlage“, lassen sich die Skrupel auch in den Griff bekommen.
    Ich gehe davon aus, dass Kontrollen ins Leere laufen werden. Ich denke, dass sich die Anreize ändern müssen. Mal angenommen die Promotion wäre reine Qualifikationsarbeit für eine akademische Karriere. Warum sollte jemand enorm viel Geld in einen akademischen Karriereschritt investieren, wenn er mit der nachfolgenden akademischen Karriere gar nichts anfangen kann? Ich meine, kann sich jemand Herrn zu Guttenberg als Wissenschaftler vorstellen? In manchen Kreisen ist der Doktor einfach ein Etikett, das nach viel klingt. So lange das so bleibt und so lange die Anzahl der Promotionen ein Leistungskriterium für Unis ist, wird es auch Betrug bei Promotionen geben.

  2. Boris Schmidt meint:

    Werter Herr Hans Wurst (Herr Dr. Hans Wurst? Herr Prof. Dr. Hans Wurst?),

    die Vorstellung, dass sozusagen aus dem System gerutschte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (also: Dr., Dr. habil., PD) aus Verzweiflung und weil sie so gerne weiter forschen würden, sich in „großer Auswahl“ gegen Geld als Ghostwriter für anderer Leute Promotionen anbieten, halte ich für einen überaus originellen, dadurch aber nicht weniger abstrusen Einfall, von dem ich dank Ihrer Eingabe heute zum ersten Mal höre.

    Ich glaube statt dessen daran, dass die überwältigende Mehrheit der Doktorinnen und Doktoren mit ihrer Promotion auch einen gewissen Ehrenkodex verbindet, und dass diejenigen, die inhaltlich so gut sind, dass andere ihnen Geld dafür geben würden, sie mit Ghostwriting zu beauftragen, sich eher stärker als weniger stark diesem Ehrenkodex verpflichtet fühlen, mitsamt einem Gespür für die Grenze zwischen Feedback, Beratung, Peer Review einerseits und Ghostwriting, „Vorlagen erstellen“, Beihilfe zum Betrug andererseits.

    Und falls doch bei 1 von 100, 1.000 oder 10.000 Promotionen das eine schwarze Schaf dem anderen schwarzen Schaf geholfen haben mag – vielleicht ist ihre Wolle nicht zu gebrauchen, aber zur Herde gehören sie trotzdem.

    Im Übrigen kann ich mir Herrn zu Guttenberg ganz hervorragend als Wissenschaftler vorstellen. Solche sehe ich täglich, es sind nicht zwingend die schlechtesten, und manches erledigt sich ja auch ganz von selbst.

  3. Raphael meint:

    Vielleicht lohnt für betroffene Disziplinen der Blick zu Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik (und ggf. anderen). Hier ist es Usus und oft unabdingbar, seine Dissertation auf Basis von Arbeiten zu stellen, die Peer Review erfolgreich durchlaufen haben und veröffentlicht wurden. Die Fachgemeinschaften sind üblicherweise gut darin, schlechte oder redundante Arbeiten zu erkennen. Im Umkehrschluss ist eine Arbeit, deren Verfasser keine Veröffentlichungen nachweisen kann, mindestens suspekt.

  4. Boris Schmidt meint:

    … das Risiko dabei ist allerdings, dass die Fachgemeinschaften auch ganz gut darin sind, allzu Innovatives, Unkonventionelles, Bahnbrechendes zu erkennen und als spinnerten Krams an der Veröffentlichung zu hindern oder – durch hinreichend viele Review-Zyklen – zumindest um Jahre zu verzögern.

    Mir ist der Ansatz am sympathischsten, Promotionsverfahren durch mindestens zwei Betreuer/-innen begleiten zu lassen, und gleichzeitig ein individuelles Wahlrecht zu verankern, ob die Promotion kumulativ oder durch Dissertationsschrift angestrebt wird.

  5. Raphael meint:

    Ja, das ist eine realistische Gefahr; da wird aus einem sinnvollen Abwehrmechanismus im Einzelfall ein Hindernis (ein „false positive“ eben).

    Ich denke aber, hier kann die starke Vernetzung und Öffentlichkeit durch das Internet Abhilfe schaffen. Selbst wenn ich mein Ergebnis nicht klassisch veröffentlichen kann, kann ich dafür sorgen, dass Spitzen des Faches es lesen und (öffentlich) mit mir darüber reden.

    Schafft man das klassische System ganz ab, verhindert man zwar false positives, lässt dafür aber wieder jeden Schund ins System. Dann braucht es sehr viel Energie, Sinnvolles herauszufiltern; und wie das richtig geht, haben selbst die großen Suchmaschinen noch nicht zu 100% herausbekommen.

  6. Boris Schmidt meint:

    … ganz hervorragend passt zu diesem Thema die Meldung, die uns heute aus der bislang weder durch besondere Schummel-und-Plagiats-Skandale noch durch ein auffallendes Fehlen eben solcher bekannten, aber landschaftlich durchaus reizvoll gelegenen Universität Rostock erreichte.

    Getreu ihrem durchaus originellen Leitspruch „Traditio et Innovatio“ setzte dort ein Professor, der sich mit der traditionellen Methode zur Beaufsichtigung einer Klausur mit „fast“ (so wörtlich) 120 Teilnehmenden überfordert sah, Videoaufzeichnungen zur flächendeckenden, lückenlosen, präventiven Überwachung der Kandidatinnen und Kandidaten ein und verlieh somit dem Konzept des E-Learnings eine ganz neue, eben: innovative Bedeutung. Glückwunsch zu diesem bahnbrechenden Einfall auch von meiner Seite.

    Auf Promotionen übertragen, könnte man Graduiertenzentren nach diesem Konzept zu Big Brother-Häusern umbauen (oder so wie Dschungelcamp), desweiteren die Promovierenden verpflichten, jederzeit elektronische Fußfesseln und Micros zu tragen plus eine Helmkamera, eventuell – bekannt aus den erfolgreichen Apollo-Missionen – abgerundet durch eine nonstop-Aufzeichnung ausgewählter Vitalfunktionen, welche im Falle des Falles (vgl. sog. „Lügendetektor“) dokumentieren würden, dass oder wann die betreffende Person illegalem Denken oder gar Handeln nachging.

    Bislang weist das Ganze nur den Schönheitsfehler auf, dass dieses Vorgehen – so auch das umsichtige Tun des genannten Professors zur technologisch basierten Erweiterung seiner den Anforderungen nicht genügenden biologischen Aufmerksamkeitsspanne – gegen diverse Gesetze und Verordnungen verstößt, ganz abgesehen vom gesunden Menschenverstand und der einen oder anderen ethischen Vorstellung.

    Da frage ich mich doch glatt, wer hier gerade der „false positive“ ist und was wir unserer Hochschulkultur eigentlich antun, wenn wir jegliches Vertrauen durch Kontrolle ersetzen wollen. Grüße nach Rostock, einmal ordentlich den besagten Klausurraum schön mit Ostseebrise durchlüften und dann geht’s auch schon wieder mit der Aufmerksamkeitsspanne.

    Quelle der Informationen: Schweriner Volkszeitung und dpa, Sonntag, 19.02.2012. Laut Meldung können die Studierenden die Prüfung auf Antrag annullieren lassen.

  7. Manhattanscout meint:

    So wie ein anderer Kommentar es bereits erwähnt hat lässt sich jede Überwachung, Kontrolle etc. überwinden. Je besser die Überwachung desto besser die Tricks. Meiner Meinung nach sollte der Dr. Titel an sich an Statuswert einbüßen. Insbesondere in der digitalen Zeit wie heute wird es immer schwieriger den Stellenwert des Dr. Titels aufrecht zu erhalten. Erfolg sollte das Maß aller Dinge sein und nicht ein Titel.

  8. Eva meint:

    Kontrolle ist nicht die Strategie, die zum Erfolg führt! Eine zu strenge Kontrolle kann auch dazu führen, dass Doktoranden sich in ihrer Existenzangst vor der Zukunft umbringen. Solche traurigen Ereignisse sollten nicht verschwiegen werden und gehören auch zu dem Beruf des Wissenschaftlers an der Uni.

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