Wider eine „Ökonomisierung der Wissenschaft“

„Wissenschaft braucht Ethik“ – das war das Motto des 60. Deutschen Hochschulverbandtages, der am 22./23. März 2010 in Hamburg stattfand. Mitglieder des DHV trafen sich, um den Jahrestag in bürgerlich-stilvollem und erholsamen Ambiente zu begehen und sich jedoch einem durchaus kontrovers zu diskutierenden Thema zuzuwenden: wie ethisch ist unsere Wissenschaft und wie ethisch muss sie sein?

Die „äußere“ (Julian Nida-Rümelin) Ethik der Wissenschaften, die beispielsweise schon Dürenmatt in seinen „Physikern“ auf die Bühne bringt, interessiert zu Anfang des 21. Jahrhundert vor allem Disziplinen wie Medizin und Biochemie oder auch die Juristen, die unter Einbezug von Ethikern darüber zu entscheiden haben, was rechtlich noch zulässig ist und was nicht – auch wenn es wissenschaftlich möglich ist. Dagegen geht die „innere“ Ethik alle Wissenschaften zu allen Zeiten in besonderem Maße an. Gibt es noch einen Berufsethos des Professors bzw. Hochschullehrers? Wie gehen wir an den Universitäten und Forschungseinrichtungen angesichts des steigenden Wettbewerbs, gemessen durch Journal Rankings, Zitationsindexe, Publikationsanzahl und Drittmittelhöhe, mit der Wahrheit und persönlichen Wahrhaftigkeit als Wissenschaftler um? Der Fall Göttingen, zwielichtige Promotionsberater und andere Wissenschafts-„Skandale“ lassen zunächst nicht viel Hoffnung auf eine positive Beantwortung dieser Fragen im Sinne einer ethischen Wissenschaft. Dennoch, es gibt auch Gegentrends: So hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vor kurzem neue Richtlinien für Forschungsanträge herausgegeben, die nicht mehr die Quantität, sondern vor allem die Qualität der Publikationen bewerten, was auch jüngeren Forschern steigende Chancen auf Bewilligungen verspricht. Zum 60jährigen Jubiläum setzt sich auch der DHV mit den Worten des amtierenden Päsidenten unter anderem die Aufgabe, daran mitzuwirken „Korrekturen an einer Wissenschaftspolitik“ durchzusetzen, „die sich einer Ökonomisierung der Wissenschaft“ (Bernhard Kempen) verschrieben haben.
Doch wie kann dies nachhaltig erreicht werden? Wo lernt ein Hochschullehrer denn, seinen Beruf ethisch, wider lockende „Ökonomisierungstendenzen“ auszuüben? Brauchen wir ein disziplinübergreifendes Modul „Ethik in der Wissenschaft“, das mit einer bestimmten Anzahl an credits abgeleistet werden muss wie andere Module eben auch?
Wohl eher nicht. Wissenschaftlich ethisches Handeln entsteht nicht von einem Semester auf das andere, sondern ist ein langer Prozess, der ab dem ersten Tag des Studiums durch das jeweilige Lehr- und Forschungsumfeld und wissenschaftliche Vorbilder geprägt wird. Vor allem „gestandene“ Hochschullehrer sollten viel Zeit und Kraft darauf verwenden, ein wissenschaftlich ethisches Umfeld für den Nachwuchs zu gestalten, denn dieser bildet die Wissenschaftslandschaft von morgen – nicht wie oft angenommen die eine oder andere zigste Veröffentlichung oder Tagung zu einem Thema. Auch der DHV hat die Notwendigkeit einer integrierenden Nachwuchsförderung erkannt und versucht durch die gezielte Einladung und Einbindung junger Forscher ihren Reihen notwendige, frische Impulse zu geben. Diese „innere“ Verbandspolitik sollte fortgesetzt werden.

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6 Kommentare zu “Wider eine „Ökonomisierung der Wissenschaft“”

  1. Prekärforscher meint:

    Wider eine unzureichende Kenntnis der deutschen Grammatik bei Akademikern:
    „wider“ verbindet sich mit dem Akkusativ, nicht Genitiv.
    Man könnte auch einfach „gegen“ schreiben, dann ist es leichter.

  2. Vanessa-Isabelle Reinwand meint:

    Danke – ist ausgebessert! Auch Akademiker sind fehlbar 😉

  3. Anna Hempel meint:

    Ich lese mit meinen Studenten -an der Uni in Paraguay- fast jedes Jahr ¨Die Physiker¨ von Dürrenmatt oder ¨Leben des Galilei¨ von Brecht, denn dieses ist ein lebens-gefährliches Thema, das selten in den Medien/Gesellschaft diskutiert wird.

  4. Tweets die Wider einer „Ökonomisierung der Wissenschaft“: „Wissenschaft braucht Ethik“ – das war das Motto des 60. Deutschen ... erwähnt -- Topsy.com meint:

    […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Dennis Schäffer, Stellen Wissenschaft erwähnt. Stellen Wissenschaft sagte: Wider einer „Ökonomisierung der Wissenschaft“: „Wissenschaft braucht Ethik“ – das war das Motto des 60. Deutschen … http://bit.ly/cPXBRi […]

  5. L.Göhler meint:

    Im Grunde geht es um Kriterien für wissenschaftliche Leistungen. Diese werden, aus der Not geboren, ökonomisiert. Forschung ist immer ein offenes Projekt. Aus Geldmangel wird nur noch das bezahlt, was sich schnell amortisiert oder schnell bewertet werden kann. Man muss sich das mal vorstellen: Rankingprozesse, in denen wenig Zukunfstvision liegt, werden immer mehr forschungsleitet. Das Resultat ist ein wachsender wirtschaftlicher Pragmatismus in der Wissenschaft. Als eines von vielen Kriterien kann er beflügeln, als alleiniges Kriterium kastriert er die Wissenschaft.

  6. L.Göhler meint:

    sorry, sollte heißen: „forschungsleitend“

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