Wenn ich mal groß bin, werde ich…

Schon viel wurde in diesem Blog über die Unzulänglichkeiten des deutschen, europäischen und außereuropäischen Wissenschaftssystems diskutiert – meines Erachtens oft zu Recht, denn nur durch kritische Reflektion kann so etwas wie Fortschritt überhaupt gelingen. Dennoch, und das mag nicht nur am aufkeimenden Frühling und an meinem damit gekoppelten, emotionalen Zustand liegen, bin ich meistens zumindest froh, ganz unabhängig von irgendwelchen Kindheitsträumen (ich wollte tatsächlich Kindergärtnerin werden) letztlich in der Wissenschaft gelandet zu sein.

Um den kritischen Aspekten des Nachwuchswissenschaftlerlebens einmal ein paar eher unwissenschaftlich subjektiv positive Befindlichkeiten gegenüberzustellen – hier zehn gute Gründe, warum das Wissenschaftlerleben für mich persönlich schön ist:
1.) Ich muss (meistens) nicht zu einer bestimmten Zeit „auf der Matte“ stehen, und kann arbeiten wann (ja, ich bin ein Langschläfer und eher ein Abendarbeiter) und wo (ich arbeite gerne im Büro, aber auch gern im Zug, im Bett oder im Freien) ich will;
2.) Ich bestimme gerne selbst, was ich wann arbeite (für alle notorischen Prokrastinatoren wohl eher ein Nachteil);
3.) Ich arbeite nicht gerne jeden Tag/Abend/Nacht dasselbe;
4.) Ich reise gerne (nein, das ist in modernen Zeiten kein Widerspruch zum Wissenschaftlerleben);
5.) Ich hasse kochen – ich danke Humboldt (?), dass es Mensen gibt;
6.) Ich liebe die Lehre, aber bin auch froh, wenn ich das nicht ausschließlich machen muss (genau, ich wollte nie Lehrerin werden);
7.) Mich faszinieren Universitätsgebäude und Bibliotheken und seien sie auch noch so hässlich (schönen Gruß an Erlangens A, B, C-Block);
8.) Ich bin Idealist – und ich glaube, das hilft einem zuweilen sehr;
9.) Ich telefoniere nicht gerne – ein Wissenschaftler wird eher selten angerufen (außer von Kollegen);
10.) Last, but not least: es interessiert mich sogar inhaltlich, was ich hier mache und ich freue mich, wenn sich auch andere dafür begeistern lassen!

Kurzum, und das ist auch schon erforscht worden, tragen Rahmenbedingungen (und Kollegen) erstaunlich viel zur Zufriedenheit mit dem Job bei, erst einmal ganz unabhängig davon, ob das Gehalt, die Thematik oder das Prestige passt… oder warum seid ihr Wissenschaftler geworden bzw. auf dem Weg dazu?

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5 Kommentare zu “Wenn ich mal groß bin, werde ich…”

  1. Boris Schmidt meint:

    Ja, es gibt einige Studien darüber, warum rund zehn Prozent derjenigen, die eine Promotion erreichen, auch längerfristig im deutschen Hochschulsystem bleiben, und was sie davon haben. Die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit sind ganz entscheidende Punkte, neben dem Prestige und der Zugehörigkeit zu etwas Bedeutsamen.

    Aus Sicht der „Gewinner“ ist allerdings im Grunde jedes System schön. Nicht, dass unser Hochschulsystem 10 Prozent Gewinner und 90 Prozent Verlierer hervorbringen würde – die auschlussreichste Frage richtet sich jedoch oft an die anderen, an diejenigen, die etwas nicht tun, etwas nicht wollen oder nicht mehr da sind: Warum interessieren sich so viele Studierende für einen Studienplatz am Standort x nicht, wieso erreichen so viele Promovierende im Institut y die Promotion nicht, weshalb bleiben so viele Promovierte nach der Dissertation nicht an der Hochschule?

    Am Ende muss man beide Fragen stellen: Sowohl jene, was die wenigen einen motiviert, „trotzdem“ dabei zu bleiben, als auch jene an die vielen anderen, was ihrem Schritt zugrunde liegt, das System schnellstens, absichtlich oder gezwungenermaßen zu verlassen.

    Wobei völlig klar ist, dass die Mehrheit sich den Ausstieg nicht erst während der Promotionsphase oder kurz danach überlegt hat, sondern von Anfang an gar nicht mehr wollte als eine Promotion. Spannend wird es bei denjenigen, die „eigentlich“ das Potenzial hätten und „irgendwie“ auch bereit wären, all die Opfer zu bringen und die „im Grunde schon“ nach Freiheit, Eigenverantwortlichkeit, Prestige und Zugehörigkeit streben: Wie schaffen wir es, das System so einzurichten, dass von diesen diejenigen bleiben, die es am meisten verdienen, die das Hochschulsystem am meisten braucht und die zu unserer Gesellschaft am meisten beitragen können?

    Mögen wir also die Promotionsphase, die Nachwuchsförderung und die Personalentwicklung an den Hochschulen so gestalten, dass auch diejenigen, die am Anfang vielleicht nicht die Idealbesetzung für eine langfristige Hochschulkarriere waren, am Ende zu genau dieser Idealbesetzung werden. Da ist eine Menge ungenutzter Spielraum…

  2. Hella meint:

    Als eine derjenigen, die nicht schon vor der Promotion wussten, dass Sie keine Forscher werden wollen und die von sich selbst denken, das „Potential“, die „Opferbereitschaft“ und auch den Spass an der Lehre mitzubringen, möchte ich gern mal meine persönliche Antwort auf Boris‘ Frage geben: Freiheit, Eigenverantwortlichkeit und Zugehörigkeit konnte ich an der Uni nicht entdecken! Und Prestige zählt für mich nicht gerade zu einem Auswahlkriterium für meine Karriereentscheidung. Ich kann nur sagen, ich hab das System schnellstens und absichtlich verlassen, um in einem spannenden offenen Umfeld in der freien Wirtschaft selbstbestimmt forschen zu können. Zur Info: Ich bin Geowissenschaftlerin. Und ich bin heilfroh, dem Uni-Klüngel entkommen zu sein! Denn mehr ist Uni für mich ab der Promotion nicht mehr…

  3. Boris Schmidt meint:

    Ja, das ist auch ein Ergebnis. Ca. 1/3 kommen an die Universität und können sich eine Hochschulkarriere vorstellen, und bei vielen vergeht diese Vorstellung im Laufe der Zeit. Am Ende bleiben nur 10% (was natürlich auch mit der Stellenknappheit zu tun hat). Aber wer ist es, der/die bleibt?

    Ich bin überzeugt, dass auch und gerade viele derjenigen „vergrault“ werden, die dringend gebraucht würden, eben weil sie die richtige Mischung von Potenzial, Opferbereitschaft und Spaß z.B. an der Lehre mitbringen.

    Deswegen plane ich auch eine „Aussteiger-Studie“, in der es um die Frage geht, wie sich die Vorstellung vom Wissenschaftsbetrieb im Laufe der Promotion verändert und aus welchen Gründen der geschilderte Meinungsumschwung bis hin zum „nichts wie weg!“ stattfindet (vgl. auch „Frauenschwund“, je höher es geht). Und natürlich, was getan werden kann, um da gegenzusteuern…

  4. FK meint:

    Ich liebe das Wissenschaftlerleben auch und stimme mit den 10 genannten Punkten völlig überein. Allerdings darf man und kann man auch nicht die Schattenseiten vergessen. Diese ewigen Kurzzeitverträge und die damit zusammenhängende soziale Unsicherheit zermürben einen. Wenn mein jetzt laufender Vertrag ausläauft bin ich 40 und an der magischen Grenze wo ich vielleicht der sozialen Sicherheit zuliebe die Wissenschaft verlassen und auch den etwas langweiligeren Job in Kauf nehmen muss. Auch wenn man sich mit sämtlichen befristetetn Verträgen bis zur Rente über Wasser halten kann, killt die ständige Umzieherei jede Beziehung und auch sonst allen sozialen Netzwerke die man sich mühevoll aufgebaut hat. Mein Traum ist in der Tat mit der Wissenschaft alt zu werden, aber die Chancen sind gering (gerade in Deutschland) dies zu realisieren. Das ist im grossen und ganzen schon frustrierend. Ein anderer Punkt ist, umso höher man die Karriereleiter heraufklettert umso härter wird es auch, was einen dann auch manchmal das Wisserschaftlerleben in Frage stellen lässt.

  5. micha meint:

    Super geschrieben,

    ohne Witz: ich könnte alle Punkte unterschreiben, bzw. diese treffen auch auf mich zu. Vor allem telefoniere ich wirklich nicht gern…

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